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Rede zum 1. August 2023

Rede zum 1. August 2023

Heinrich Zschokke wurde 1771 in Magdeburg geboren, kam 1798 nach Aarau und übte von dort aus einen immensen Einfluss auf die Volksbewegung aus, die 1848 in der Gründung des Bundesstaates mündete. 175 Jahre nachdem sich die Schweiz die erste Bundesverfassung gegeben hat, widme ich meine Rede zum 1. August dieser Persönlichkeit. Heinrich Zschokke setzte sich Zeit seines Lebens für die Pressefreiheit und das staatliche Schulwesen ein.

Wir feiern in diesem Jahr ein ganz besonderes Jubiläum, auf welches wir Schweizerinnen und Schweizer auch durchaus stolz sein dürfen. Wir feiern nämlich den 175. Geburtstag unserer modernen Schweiz.

Am 12. September 1848 hat sich die Schweiz die erste Bundesverfassung gegeben. Damit ist die Schweiz die älteste und beständigste moderne Demokratie – die direkteste Demokratie der Welt, in welcher die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger über alle wichtigen Angelegenheiten abstimmen dürfen.

Erlauben Sie mir deshalb eine kurze geschichtliche Reise zurück ins 19. Jahrhundert.

Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts ist geprägt gewesen von Krieg in Europa, den napoleonischen Kriegen, liberalen Revolutionen 1830/31 und einem Zuspitzen der Ereignisse in den 1840er Jahren. Diese Vorkommnisse, die schliesslich zur Gründung der modernen Schweiz geführt haben, haben dabei ihren Ursprung im Beschluss des Grossen Rats zur Klosteraufhebung im Jahr 1841 durchaus im Kanton Aargau. Denn die anschliessende Berufung der katholisch-konservativen Jesuiten in Luzern hat sogar die zuvor zerstrittenen Liberalen und Radikalen vereint.

Nach den Freischarenzügen von den Liberalen gegen die katholisch-konservativen Kantone haben sich Luzern, Schwyz, Uri, Zug, Ob- und Nidwalden, Freiburg und Wallis zum sogenannten Sonderbund verbündet. Gemäss Bundesvertrag von 1815 war dies allerdings nicht erlaubt. In der Folge ist es zum Bürgerkrieg 1847 gekommen – dem Sonderbundskrieg zwischen den Sonderbundeskantonen und den eidgenössischen Tagsatzungstruppen der liberalen Kantone.

Dieser Krieg hat den Sonderbundskantonen die Niederlage gebracht. Henri Dufour hat als General der liberalen Kantone seine Mannschaft um Zurückhaltung und Respekt gegenüber den Miteidgenossen gemahnt. Sie haben nicht triumphiert, sie haben nicht unterdrückt, sie haben nicht vernichtet und hingerichtet. Sondern sie haben die unterlegenen Sonderbündler im anschliessenden Verfassungsprozess sogar eingebunden und im Verfassungskompromiss Zugeständnisse gemacht.

So ist zum Beispiel der Ständerat mit zwei Vertretern je Stand geschaffen worden und damit einer eigentlichen Übervertretung derjenigen Kantone mit geringer Bevölkerungsanzahl – also hauptsächlich der Sonderbundskantone.

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Der Kanton Aargau hat in der Entwicklung der Schweiz hin zum modernen Bundesstaat eine sehr wichtige Rolle eingenommen, nicht nur 1841 mit dem Beschluss zur Klosteraufhebung. Deshalb lohnt es sich, die Rede zum ersten August 2023, also 175 Jahre nach der Entstehung der modernen Schweiz, einer Person speziell zu widmen, die zu jener Zeit einen immensen Einfluss ausgeübt hat. Heinrich Zschokke.

Heinrich Zschokke ist zwar 1771 in Magdeburg, im Osten Deutschlands, geboren worden. Er hat Philosophie und Theologie studiert und ist dann 1795 also nach den Wirren der französischen Revolution durch Deutschland, Schweiz und Frankreich gereist und hat dort die Ideen der französischen Revolution erlebt.

1798 kam er nach Aarau. Von dort aus begann sein Einfluss auf die Volksbewegung in der Schweiz, die 50 Jahre später in der Gründung des Bundesstaats mündete. Doch was war die Leistung von Heinrich Zschokke?

Heinrich Zschokke hat zwei wesentliche Grundpfeiler, die für die Entwicklung der Schweiz hin zu einem Bundesstaat mit direkter Demokratie wesentlich gewesen sind, geprägt: die Pressefreiheit und Volksbildung.

Bereits 1798 hat er den Schweizer Bote gegründet, mit welchem er die Ideen der Demokratie, deren Werte wie Freiheit und Gleichheit propagiert hat und diese Werte in einer einfachen, volkstümlichen Sprache für breite Bevölkerungsschichten lesbar und verständlich gemacht hat. Der Schweizer Bote ist so etwas wie das erste Boulevard-Blatt der Schweiz gewesen. Doch Zeitungen lesen und verstehen, kann nur, wer entsprechende Fähigkeiten erworben hatte.

Bildung ist bis zu diesem Zeitpunkt ein Privileg der Herrschenden. Wissen ist Macht. Macht des Adels, der Städte, der Kirche. Zschokke hat sich deshalb Zeit seines Lebens für ein staatliches Schulwesen und die Pressefreiheit eingesetzt.

Beides wurde in den neuen liberalen Kantonsverfassungen von 1831 verankert. Zum ersten Mal sind die Volkssouveränität, Gewaltenteilung, Rechtsgleichheit und Freiheitsrechte wie Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit, aber auch die Handels- und Gewerbefreiheit in einer Verfassung festgehalten worden.

Doch damit gab er sich nicht zufrieden. Eine in der Verfassung verankerte Volksschule hat noch keine Bildung gebracht. So schrieb er 1832 im Schweizer Boten: «Das allerärmste Kind muss wenigstens lesen, schreiben, rechnen lernen». «Wo in einem Lande das Erziehungswesen gut geordnet ist, da gibt es die wenigsten Verbrecher, die wenigsten Bettler, die wenigsten Lumpen.»

Für Zschokke ist immer klar gewesen. Das Volk ist nur dann souverän und kann sich seine eigene politische Meinung bilden, wenn es unabhängig von der Obrigkeit Fähigkeiten und Wissen aneignen kann. Die Garantie der Unabhängigkeit des Schulwesens sei nur durch den Staat gewährleistet, denn der Staat ist das Volk. Und wenn das Schulwesen durch Steuergelder finanziert wird, dann hat das Volk, das die Steuern zahlt, die Kontrolle darüber. Die Demokratie, also die Herrschaft des Volks, kann nur mit einer staatlich garantierten Volksbildung entstehen. Keine privaten Mäzenen sollten die Schule finanzieren.

Als Mitglied des Grossen Rats setzte sich Heinrich Zschokke deshalb für ein neues aargauisches Schulgesetz ein. Dieses wurde 1835 in Kraft gesetzt und war die Geburtsstunde der Bezirksschulen.

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Ihr Gemeinderat hat anfangs dieses Jahres die Anfrage an uns gerichtet, ob wir bereit wären die Thalener Kinder in unsere Bezirksschule aufzunehmen. Ehrlich gesagt, haben wir nicht damit gerechnet, dass Thalheim und Schinznach uns der Stadt Brugg vorziehen. Geschmeichelt hat es uns trotzdem.

Für unseren Gemeinderat ist es keine Frage, dass wir den Schülerinnen und Schülern aus dem ganzen Schenkenbergertal Platz in Wildegg anbieten. Denn wenn eine Gemeinde das Glück hat, eine Bezirksschule im eigenen Dorf führen zu dürfen, dann trägt sie auch eine Mitverantwortung für die Region. V.a., wenn dann mit den Thalener Kindern die schlausten nach Wildegg kommen würden.

In seinen Gedanken und in seinem Handeln ist Heinrich Zschokke zeitlos gewesen. Die Volksschule ist eine Erfolgsgeschichte. Wir haben heute – mehr denn je – die Verantwortung, dass dies so bleibt. Nur eine qualitativ hochstehende Volksschule kann gegen die wachsende Konkurrenz von Privatschulen bestehen. Und da mache ich mir ernsthafte Sorgen um die Volksschule in unserem Kanton.

Die Reformitis der letzten 15 Jahre und der Drang zu Harmonisierung und Gleichmacherei sind der Qualität unserer aargauischen Volksschule überhaupt nicht gut bekommen. Da müssen wir durchaus auch den Mut haben, das Rad ein Stück weit zurückzudrehen und nicht jeden pädagogischen Irrläufer mitzumachen.

Wer mich kennt, weiss, dass ich immer zu den besten gehören will. Ich will unseren Schülerinnen und Schülern die beste Bildung auf ihren Lebensweg mitgeben. Diesen Anspruch habe ich auch an unsere Schule vor Ort. Eine deutlich grössere Oberstufenschule ermöglicht eine professionellere Schulführung, attraktivere Freifächerangebote und grössere Lehrerpensen, wovon schliesslich die Schülerinnen und Schüler profitieren.

In den kommenden Monaten und Jahren wartet viel Arbeit auf uns, doch für dieses Generationenprojekt für die gesamte Region sind wir bereit, zu investieren – nicht nur Geld, sondern Zeit, Energie, vor allem aber Herzblut. Ganz im Sinne und Geist von Heinrich Zschokke, dem wir unsere Volksschule verdanken und der erkannt hat, dass eine funktionierende direkte Demokratie souveräne, gebildete Bürgerinnen und Bürger bedingt, die sich dank lesen, schreiben und rechnen ihre eigene Meinung bilden.

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